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Alles beginnt bei unserer inneren Haltung: So finde ich einen besseren Umgang mit Konflikten!

Anne Kübart

Schwierige Situationen können eine großartige Chance sein, sich oder das Team weiterzuentwickeln und Arbeitsbeziehungen positiv zu stärken – wenn sie gut genutzt werden. Es gibt zahlreiche Methoden, die einen konstruktiven Umgang mit Konflikten leichter machen. Das beste Tool nützt jedoch nichts, wenn wir in einer „reaktiven“ Haltung sind, d.h. in einer Angriffs- oder Verteidigungshaltung, in der wir im Autopiloten agieren (diese „reaktive“ Haltung ist das Ergebnis einer normalen Reaktion unseres Alarmsystems). Vielmehr brauchen wir zuerst selbst eine offene, neugierige Haltung – egal, ob wir selbst als Konfliktpartner/in involviert sind oder ob wir unser Team in der Konfliktlösung unterstützen möchten. Und erst, wenn wir uns unserer inneren Haltung bewusst werden, können wir sie aktiv ändern.

Die innere Haltung ist ansteckend

Wir ärgern uns über den Kommentar eines Kollegen, ohne offen nachzufragen, wie er ihn gemeint hat; wir fühlen uns missachtet, weil wir erst spät eine wichtige Information erhalten. Gedanken wie „ich bin im Recht, du im Unrecht!“, „ich weiß es besser.“, „sie vertraut mir nicht!“ kommen häufig wie von selbst. Das größte Problem ist, wenn wir aus diesem Zustand heraus automatisch reagieren, z.B. mit einem hitzigen Kommentar. So wird nicht nur unser Verhalten durch unsere innere Haltung beeinflusst, sondern auch die Haltung unseres Gegenübers. Diese/r wird von unserer „reaktiven“ Haltung angesteckt, reagiert ebenfalls ärgerlich, und schon finden wir uns in einem Streitgespräch wieder, in dem beide Seiten ihre Sichtweise rechtfertigen. Gegenseitiges Verständnis und eine Lösung rücken so in weite Ferne.

Bewusst eine offene Haltung einnehmen

Eine offene, neugierige – sprich: „kreative“ – Haltung einzunehmen heißt, bewusst aus dem Autopiloten herausgehen. Dann hören wir dem Gegenüber wirklich zu, interessieren uns für dessen Sichtweise und bringen ihm oder ihr ehrliche Wertschätzung entgegen. Und zwar auch dann, wenn wir in dem Moment mit dessen Ansicht nicht übereinstimmen und sicher sind, im Recht zu sein. Warum? Zum einen ist es sehr gut möglich, dass wir tatsächlich noch nicht verstanden haben, wo der oder die andere herkommt. Zum anderen ist es wohl der einzige Weg, dass auch der/die andere bereit ist uns zuzuhören: Erst wenn er/sie sich respektiert und verstanden fühlt, wächst die Bereitschaft, selbst zuzuhören und bei einem Konflikt aufeinander zuzugehen.

Strategien, um in eine offene Haltung zu kommen

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

Viktor Frankl
Neurologe und Psychiater

Oft genug gibt es Situationen, in denen es uns verständlicherweise schwerfällt, innerlich gelassen und offen zu bleiben. Im Folgenden sind hilfreiche Strategien gelistet, mit denen das besser gelingen kann (Auszug aus v. Hehn, Braun, Cornelissen, 2016). Wichtig: Es geht nicht darum, Gefühle zu unterdrücken, sondern sich ihrer bewusst zu werden und Verantwortung für die eigene Reaktion zu übernehmen.

Physische Möglichkeiten:

  • Tief atmen: Tiefe und langsame Atmung regt den Parasympathikus an, also den Teil unseres vegetativen Nervensystems, der für Entspannung zuständig ist (Joseph et al., 2005); vor oder während schwierigen Situationen also bewusst einige Momente den Atem wahrnehmen, tief in den Bauch atmen und die Atemfrequenz reduzieren.
  • Pause machen: Durch eine bewusste Pause kann die Phase, in der unser stressauslösendes Alarmsystem (Amygdala) aktiv ist, überbrückt werden, ohne dass wir reagieren (vgl. Joseph, 2011); beispielsweise indem wir einen Schluck Wasser trinken, das Fenster öffnen oder das Konfliktgespräch vorerst unterbrechen.

Kognitive Möglichkeiten:

  • 10er Regel: Sich fragen: Wie sieht diese Situation/dieser Konflikt für mich in zehn Tagen, in zehn Wochen und in zehn Monaten aus? Was uns zunächst wie ein riesiges Problem vorkommt, relativiert sich in den meisten Fällen und hilft, gelassener und konstruktiver damit umzugehen.
  • Nach der guten Absicht forschen: Auch wenn es schwerfallen mag, sollten wir uns fragen: „Was sind oder was könnten die guten Absichten des anderen sein?“. Häufig schließen wir von der Wirkung eines Verhaltens auf die Absicht der sich so verhaltenden Person: Wir fühlen uns verletzt und gehen davon aus, dass unser Gegenüber uns verletzen wollte. Wir fühlen uns gekränkt und meinen, unser Gegenüber wollte uns kränken. Wir denken so automatisiert, dass wir nicht erkennen, dass unsere Schlussfolgerungen stets nur Annahmen sind. Dabei möchte uns nur in den allerwenigsten Fällen jemand bewusst schaden. In den meisten Fällen steht hinter einem Verhalten eine positive Intention – auch wenn die Umsetzung das Gegenteil erreicht. Unserem Gegenüber stets eine positive Absicht zu unterstellen, egal wie verletzend oder unverständlich dessen Verhalten auf uns wirkt, ist ausgesprochen hilfreich, um in schwierigen Situationen offen zu bleiben und eine Haltung der Wertschätzung einzunehmen.

Leitfaden für schwierige Gespräche

The best way to convince others is with the ears: by listening to them

Dean Rusk

Paraphrasieren – das Gehörte genau zurückspiegeln

  • Wenn die Beteiligten nicht das Gefühl haben, gehört zu werden, können sie Dich nicht hören
  • Das Zurückspiegeln des Gehörten regt zum Nachdenken an
  • „Du sagst also, dass … [verwende die Worte des Gegenübers]“

Ergründen – die spezifische Bedeutung des Gesagten ermitteln

  • Die meisten Antworten sind nicht konkret genug
  • Die Beteiligten brauchen das Gespräch, um sich über ihre Gedanken klar zu werden
  • „Kannst Du … genauer erläutern [greife vage Formulierungen auf]“

Perspektive anerkennen – Empathie vermitteln

  • Die Beteiligten werden sich nur dann mit neuen Ideen auseinandersetzen, wenn Bestehendes gewürdigt wird
  • „Wenn ich Dich richtig verstanden habe, bist Du der Meinung, dass […]; ich halte das für durchaus sinnvoll“

Eigene Perspektive anbieten – die eigene Sichtweise erläutern

  • Betrachte das Gespräch als wechselseitigen Austausch, der beide Seiten weiterbringt
  • Du möchtest Deine Vorstellungen genauer erläutern, damit sich Deine Ziele mit den Vorstellungen der Beteiligten vereinbaren lassen
  • „Darf ich Dir erläutern, wie ich über dieses Thema denke?“

Bei allem oben genannten gilt: Übung macht den Meister/die Meisterin! Wie einen Muskel können wir unsere Fähigkeit zur Selbstreflexion (innere Haltung) und zur Gesprächsführung trainieren und so im Laufe der Zeit Sicherheit und Flexibilität gewinnen. Denn eine wesentliche Gefahr besteht darin, dass wir aus Sorge vor der Reaktion des Gegenübers oder des Teams unangenehme Themen vermeiden – und dadurch die Chance auf eine konstruktive Auseinandersetzung und damit auf eine vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit im Team ungenutzt lassen.

Quellen und Literaturempfehlung

  • v. Hehn, Braun, Cornelissen (2016): Kulturwandel in Organisationen. Ein Baukasten für angewandte Psychologie im Change-Management. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg
  • Joseph, C. N., Porta, C., Casucci, G., Casiraghi, N., Maffeis, M., Rossi, M. & Bernardi, L. (2005). Slow breathing improves arterial baroreflex sensitivity and decreases blood pressure in essential hypertension. Hypertension, 46(4), 714–718.
  • Joseph, S. (2011): What doesn’t kill us. The new psychology of posttraumatic growth. New York, NY: Basic Books.
  • Knapp, P. (2019): Konfliktlösungs-Tools. Klärende und deeskalierende Methoden für die Mediations- und Konfliktmanagement-Praxis. managerSeminare Verlags GmbH
  • Goleman (1997): EQ. Emotionale Intelligenz. dtv
  • Stone, D. (2001): Offen gesagt! Erfolgreich schwierige Gespräche meistern. Goldmann Verlag
Zur Autorin

Anne Kübart

Anne Kübart arbeitet als Beraterin und Trainerin mit den Schwerpunkten Veränderungsprozesse, Führungskräfteentwicklung, Teamentwicklung und Achtsamkeit für die RETURN ON MEANING GmbH. Zu ihren Klienten zählen Konzerne, mittelständische Unternehmen, Start-Ups und Nichtregierungsorganisationen. Sie hat einen Masterabschluss als Arbeits- und Organisationspsychologin (M.Sc., Technische Universität Dresden), einen Bachelorabschluss in Psychologie (B.Sc., Technische Universität Dresden) sowie einen Bachelorabschluss in Medien und Kommunikation (B.A., Universität Augsburg). Sie war Stipendiatin des EU-Programms Erasmus+ in Lissabon, Portugal (ISCTE-IUL) und ist systemische Beraterin (i.A., SG-Zertifizierung). Anne Kübart engagiert sich ehrenamtlich im Empowerment geflüchteter Personen sowie in sozialen Kunstprojekten (Berlin, Lissabon).

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